Am 30.06.2020 fand ein weiterer Online-Stammtisch von wienXtra in Kooperation mit der Stadt Wien – Bildung und Jugend statt. Wir stellten uns die Frage, wie sehr Lernbegleitung Aufgabe der Kinder- und Jugendarbeit ist, ob sich durch die Coronakrise etwas verändert hat, ob Jugendarbeiter_innen auch (die besseren?) Nachhilfelehrer_innen sind.
Martin Himmelfreundpointner vom Verein Wiener Jugendzentren stellte in seinem Eingangsstatement „Discord“ als virtuellen Ort vor, an den nach dem Lockdown alle Aktivitäten des Jugendzentrums hin verlagert wurden – auch die Lernbegleitung. Als Nachteil erwies sich dabei, dass die meisten Jugendlichen Discord nicht kannten, sich darin zu registrieren war für viele eine Hürde. Als Vorteil stellte sich heraus, dass man einen Discord-Server so gestalten kann, dass er einem physischen Ort gleicht, mit unterschiedlichen Räumen für unterschiedliche Zwecke. Jugendliche können miteinander und mit Jugendarbeiter_innen auf viele Arten in Kontakt treten und selbst frei wählen, wie sie dies tun möchten, mittels Text, Audio oder Video-Chat, in einem offenen Raum oder einem privaten Gespräch.
Thomas Zobernig, vom Verein „Sale für Alle“ reflektierte seine Erfahrungen mit der Lernbegleitung vor und während des Lockdowns. Als Einrichtung die vorwiegend mit jüngeren Jugendlichen und Kindern arbeitet, hatten sie bis dato wenig digitale Strukturen. „Der Lockdown kam für uns zu schnell, wir hatten keine Gelegenheit, mit den Kindern etwas Digitales einzuüben“. Unter 12-Jährige waren nur sehr schwer mit digitalen Lernbegleitungsangeboten zu erreichen. Auch seit der inzwischen erfolgten Öffnung der Einrichtung im Mai haben nicht alle Kinder den Weg zurückgefunden. Möglicherweise gibt es noch zu viel Sorge der Eltern oder auch der Kinder vor Ansteckung. Durch das Angebot der Lernbegleitung nutzen Kinder und Jugendliche üblicherweise dann auch die anderen Betriebe des Jugendzentrums.
Räume schaffen
Die Definition von Lernbegleitung durch Kinder- und Jugendarbeit von Christina Pantucek-Eisenbacher, Referentin der Stadt Wien- Bildung und Jugend wurde durchwegs von den Teilnehmern_innen geteilt.
So bieten Jugendarbeiter_innen keine (klassische) Nachhilfe an, sondern reagieren auf Bedarfe und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Sie schaffen Räume real und im übertragenen Sinn, in denen Lernen möglich ist. Sie unterstützen mit Materialien und zur Verfügung stellen von Infrastruktur wie Computern, Druckern, W-Lan (Anm: Genau diese Dinge haben bei unseren Zielgruppen während der Homeschoolingphase häufig gefehlt.) und eigenem Wissen.
Jugendarbeit unterstützt Jugendliche punktuell und anlassbezogen (Vorbereiten eines Referates, Gestalten von einem Plakat) und fördert sie in ihrer Selbstorganisation, dabei, das „Lernen zu lernen“. Wenn es mehr an Unterstützung braucht (z.B.: Nachholen von Bildungsabschlüssen, Lernen für die Nachprüfung o.ä.), dann versucht Kinder- und Jugendarbeit an andere Stellen wie z.B.: die VHS und deren Angebot Lernen2.0 weiter zu leiten.
Auch wenn Vereine der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Interesse daran haben, die während des Lockdowns aufgebauten digitalen Strukturen weiter zu entwickeln, ist dies aktuell eher schwierig, da die Zielgruppe momentan so ein großes Bedürfnis nach f2f-Begegnung hat.
Perspektiven und Prognosen
Was steht uns im Herbst bevor? Viele Kinder und Jugendliche, die von der Wiener Kinder- und Jugendarbeit betreut werden, haben die Corona-Zeit eher als eine freie Zeit erlebt („Corona-Urlaub“). Die Umgewöhnung auf „normale“ Schule, so sie stattfinden wird, wird für einige nicht einfach werden. Die während des Lockdowns entstandenen schulischen Defizite werden vermutlich erst mit September oder Oktober sichtbar werden. Der (Leistungs-)Druck auf die Kinder- und Jugendlichen wird sich vermutlich erhöhen. Jugendarbeit wirkt seismografisch, dort wo Defiziten entstanden sind, werden wir es schnell wahrnehmen/spüren.
Jugendarbeit kann und wird auf die Situation aufmerksam machen, aber nicht alleine Lösungen finden können. Wichtig erscheint uns die aktive Stärkung der Bildungspartnerschaften, insbesondere eine gute Kooperation zwischen Schule, Schulsozialarbeit und Kinder-und Jugendarbeit. Dort wo es bereits Zusammenarbeit gibt, bietet sich der Rahmen der Wiener Bildungsgrätzl an.
Zentral erschien uns in der Diskussion, auf eine gute Balance zu achten. Lernbegleitung ist nur ein Teil des Kinder- und Jugendarbeit-Alltags, neben Beratung, Spiel- und Freizeitpädagogik. Jugendarbeit ist beziehungszentriert, die Qualität der Beziehungen darf sich nicht dadurch ausdünnen, dass Lernbegleitung zu viele Ressourcen bindet.
Anu Pöyskö, wienXtra-medienzentrum,
Christina Pantucek-Eisenbacher, Stadt Wien – Bildung und Jugend,