„Divers“ als Geschlechtseintrag in der statistischen Erhebung der Jugendarbeit

Aktuell ist nach Vorgabe der Fördergeber:innen in der statistischen Dokumentation unserer Arbeit hinsichtlich der Besucher:innenzahlen neben „männlich“ und „weiblich“ nun „divers“ als dritter Geschlechtereintrag möglich. Diese Ergänzung folgt einer gesamtgesellschaftlich gestiegenen Sichtbarkeit von Geschlechtsidentitäten abseits der Binarität von männlich und weiblich.[1] Leider gibt es bisher kaum verwendbare Daten über den Anteil dieser Gruppe in der Bevölkerung. Bei ersten Umfragen wird außerdem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da Diskriminierung und gesellschaftliche Sanktionierung die Sichtbarkeit auch in Studienergebnissen beeinträchtigen.[2] 

Nicht nur realgesellschaftliche Bedingungen, sondern auch konkrete gesetzliche (Bundes-Jugendförderungsgesetz, GlBG, KJHG, KRK) und fachliche Vorgaben verpflichten die OKJA zur Inklusion queerer Lebensrealitäten. So wird in den Arbeitsprinzipien der bOJA die „Praxis der geschlechtssensiblen Offenen Jugendarbeit“ beschrieben, die dazu auffordert, nicht-binäre Geschlechtsidentitäten gleichermaßen zu inkludieren.[3]  Außerdem muss die OKJA in ihrer gesellschaftspolitischen Verankerung Diskriminierung entgegentreten und darf diese keinesfalls reproduzieren.

„Divers“ in Dokumentation und Statistik

Die Zahlen von teilnehmenden Kindern und Jugendlichen an unseren Angeboten, die als „divers“ erfasst werden, fallen sehr niedrig aus und es ist wichtig, die Gründe dafür zu erläutern. Grundlegend bedeutet es vor allem nicht, dass es diese Kinder und Jugendlichen nicht gibt oder es keine Angebote von Seiten der Kinder- und Jugendarbeit für sie braucht. 

Geschlechtsidentitäten, die zur Kategorie „divers“ gezählt werden, sind Teil medialer Diskurse und daher auch immer mehr Menschen bekannt, allerdings sind sie gesellschaftlich nicht in einem Ausmaß verankert, sichtbar und akzeptiert, dass eine selbstbestimmte und sichere Entwicklung ermöglicht wird. Gerade die Angst vor Diskriminierung kann Kinder und Jugendliche daran hindern, eine nicht-binäre Geschlechtsidentität offen auszudrücken. Hinzu kommt, dass sich Kinder und

Jugendliche in dieser Lebensphase noch am Anfang der geschlechtlichen Entwicklung befinden, sich Selbstbezeichnungen noch ändern und eine Festlegung bzw. Benennung (ähnlich wie bei der sexuellen Orientierung) oft auch im späteren Leben erfolgen kann. In der Bedarfserhebung „Ein queeres Jugendzentrum für Wien?“ hat ein großer Teil der befragten queeren Jugendlichen angegeben, dass sie die Räume der OKJA nicht als Schutzräume empfinden.[4] Daher ist anzunehmen, dass diese Zielgruppen durch die Raumangebote der Kinder- und Jugendarbeit wenig angesprochen werden und sich auch das auf die erfassten Zahlen in der Kategorie „divers“ auswirkt. Hinzu kommt schließlich, dass noch einige Fragen zur konkreten Erhebung der eingeführten Geschlechtskategorie „divers“ ungeklärt sind und Unsicherheiten bei den Mitarbeiter:innen bestehen.

Konkrete Hinweise zur Dokumentation:

Grundlegend ist jede Kategorisierung nach Geschlecht – auch „männlich“ und „weiblich“ – eine

Zuschreibung der Jugendarbeiter:innen. Sie basiert auf ihrer Interpretation der geschlechtlichen Inszenierung (z.B. Körpersprache, Kleidercodes) und erschließt sich oftmals aus den wahrnehmbaren Zuschreibungen in einer Gruppe bzw. den Selbstbezeichnungen der Kinder und Jugendlichen.

In die Kategorie „divers“ können Personen eingetragen werden, die sich als nonbinary/nichtbinär, genderfluid, genderqueer, intergeschlechtlich oder transgeschlechtlich ohne eindeutige geschlechtliche Zuordnung identifizieren sowie alle anderen Geschlechtsidentitäten, die nicht männlich oder weiblich sind. Nicht zugeordnet werden Transpersonen, die sich eindeutig dem Geschlecht weiblich oder männlich zuordnen, diese sind in den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ einzutragen. Die Kategorie „divers“ bezieht sich auf die jeweilige Geschlechtsidentität. Sexuelle Orientierungen (z.B. Homosexualität) sind hierfür nicht von Bedeutung und für unsere statistische Erhebung nicht relevant.

Um Diskriminierungen vorzubeugen, sollten sich Fachkräfte bei der Dokumentation der Kategorie „divers“ ausschließlich auf die Selbstbezeichnungen der Kinder und Jugendlichen stützen. Gleichzeitig sollte, um das Eintragen dadurch nicht zu verunmöglichen, auch kein zu strenges Maß angesetzt werden. Genauso wie bei der Erfassung von „männlich“ und „weiblich“ sind alle Einordnungen im Rahmen der Dokumentation letztlich anonymisierte Einschätzungen, die von den Jugendarbeiter:innen nicht auf Übereinstimmung hin geprüft werden.

Dies sollte auch so bleiben, d.h. Kinder und Jugendliche sollen nicht zu Dokumentationszwecken über ihre Geschlechtsidentität ausgefragt werden.

Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass die Diversität von Geschlechtsidentitäten zukünftig sichtbarerer wird. Die Inklusion queerer Lebenswelten in die OKJA ist aber keinesfalls durch die statistische Erhebung eines zusätzlichen diversen Geschlechtseintrags erfüllt. Vielmehr braucht es seitens der

Basismitarbeiter:innen sowie von Führungskräften weitere Anstrengungen, um allen kindlichen und jugendlichen Lebensrealitäten gerecht zu werden. Dies bedeutet unter anderem die Bereitschaft zur stetigen Selbstreflexion der eigenen Handlungs- und Denkweisen und das permanente Mitdenken queerer Lebenswelten im jugendarbeiterischen Alltag (z.B. Ansprechen von Zielgruppen, Auswahl von sexualpädagogischem Material).

Queere Jugendarbeit kann und soll nicht die alleinige Aufgabe eines (kommenden) queeren Jugendzentrum sein. Damit stellt sich für die OKJA auch die Frage, wie Angebotsstrukturen neu gestaltet werden können, ohne dadurch bestehende wirksame geschlechtssensible und -spezifische Angebote (Mädchen- & Burschenarbeit) aufzulösen bzw. ihre Bedeutung zu schmälern.

Verfasser:in: KIJU-Netzwerk ()


[1] Eberhardt, Viktoria / Kopal, Philipp / Schönpflug, Karin: Queere Jugendarbeit in Wien. Bedarfsanalyse – Kurzfassung, Studie im Auftrag der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten, Institut für Höherer Studien: Wien 2022, S. 4. 

[2] . Haunhorst, Charlotte: So queer ist Deutschland wirklich: https://www.jetzt.de/lgbt/dalia-studie-zu-lgbt-anteil-in-der-bevoelkerung, letzter Zugriff: 12.10.22

[3] bOJA – bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit (Hrsg.): Offene Jugendarbeit in Österreich. Ein Handbuch, Mandelbaum: Wien 2021, S. 55.

[4] Eberhardt, Viktoria / Kopal, Philipp / Schönpflug, Karin: Queere Jugendarbeit in Wien. Bedarfsanalyse – Kurzfassung, Studie im Auftrag der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten, Institut für Höherer Studien: Wien 2022, S. 4.

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